Freitag, 17. Dezember 2010

Erster Zwischenbericht

Dreimal während meiner Zeit als Freiwillige werde ich einen Bericht über meine Erfahrungen und Erlebnisse schreiben. Diese Berichte sind für alle weltwärts-Teilnehmer verpflichtend und werden teilweise auch vom Auswärtigen Amt gelesen, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Mir hat es Spaß gemacht, weil ich mir auf diese Weise einiger Sachen erst richtig bewusst geworden bin. Hier könnt ihr jetzt also eine erste Zusammenfassung meiner Eindrücke nach circa drei Monaten lesen:

Nach drei Monaten ist es Zeit für meinen ersten Zwischenbericht aus der Dominikanischen Republik. Vorweg möchte ich betonen, dass es bei meinen Erzählungen um meine Erfahrungen und somit um subjektive Eindrücke geht, die man auf keinen Fall verallgemeinern kann.

Vor meinem Aufenthalt hier hatte ich viel über das Land gelesen und mich informiert. Als ich hier angekommen bin, ist mir allerdings bewusst geworden, dass ich mir kaum vorgestellt hatte, wie mein Jahr und meine Umgebung hier sein würden. Das kam wohl, da ich erst eine Woche vor Abflug eine kurze Projektbeschreibung und keine Informationen zu meiner Wohnsituation bekommen hatte. Jetzt denke ich, dass das das Beste war, was mir passieren konnte.

Ich wohne nun mit einer Mutter und ihren zwei erwachsenen Töchtern in einer Wohnung im ersten Stock. Ich würde sagen, wir zählen hier zur Mittelschicht. Am Ende des Monats wird das Geld meistens ein bisschen knapp, aber eigentlich fehlt es uns an nichts. Das Haus hat Betonwände, die Decke ist aus Pappe und darüber ist verlegtes Wellblech. Wir haben keine Fenster, sondern Klappen, die meistens geöffnet sind. Tagsüber ist das angenehm, aber nachts und wenn es regnet, wird es manchmal etwas kalt. Wenn es viel regnet, steht bei uns teilweise ein bisschen Wasser auf dem Boden und die Wände werden feucht.

Wir wohnen in einer gut befahrenen Straße und im Zentrum der Stadt. Das bedeutet viele Motorroller, Motorräder, Kleinbusse mit ganzen Musikanlagen hinten eingebaut, die Musik und Werbung abspielen und Musik von einer Disko hier um die Ecke. Alles in allem ein für deutsche Verhältnisse hoher Lautstärkepegel.

Die Menschen sind hier sehr gastfreundlich und gesellig. Das Leben findet auf der Straße statt und wer gerade Zeit hat setzt sich mit seinem Plastikstuhl an den Straßenrand. Entweder kommt jemand vorbei, der sich zum Quatschen dazugesellt oder man beobachtet, was gerade so passiert. Einige verbringen so ganze Nachmittage und haben dabei die Ruhe weg. Ich habe noch nie in einem Land mitbekommen, dass die Mehrheit der Menschen so langsam die Straße entlang geht. Aber hier sind wir halt in der Karibik und man ist einfach entspannt.

Die andere Seite ist der dominikanische Stolz und das Temperament. Wenn der Stolz verletzt wird oder jemand einfach wütend ist, geht es manchmal schon ganz schön zur Sache – laut und heftig.

Tagsüber fühle ich mich hier eigentlich sicher. Ich war einmal in dem Stadtteil, "El Matadero", der als sehr gefährlich und Drogenhochburg gilt. Ich selbst war mir dessen nicht bewusst. Es hat sich unglaublich schnell rumgesprochen, dass ich dort war und mir wurde von vielen geraten nicht dorthin zu gehen. Es gibt einfach ein paar Regeln, an die man sich halten solllte. Nach acht Uhr abends nicht mehr alleine durch die Sraßen gehen, am besten in einer Gruppe mit mindestens einem Mann und durch hellere Straßen.

Gerade am Wochenende kommt es zu Schlägereien, die ich persönlich als gefährlich einschätze. Dann fangen hier auch auch eigentlich Unbeteiligte an ihre Bierflaschen in die Menge zu werfen und es bricht schnell Panik aus und alle laufen einfach los. Ich persönlich halte das Eskalationspotenzial einfach für sehr hoch, weil einige geladene Waffen bei sich tragen.

Ich war überrascht, dass hier außer uns Freiwilligen keine Weißen sind. Ich hatte gelesen, dass circa 70% der Dominikaner Mulatten(Menschen mit weißen und schwarzen Vorfahren) sind. Es gibt in meiner Stadt sicher einige, aber auch die haben noch sehr dunkle Haut. Dementsprechend falle ich natürlich auf, was von Vor- und Nachteil, manchmal lustig, manchmal unangenehmn sein kann.

Für viele gelten helle Haut und glatte Haare hier als Schönheitsideal. Wenn ein Mann einer Frau hier hinterherruft, gilt das als Kompliment für die Frau und als männlich für den Mann. Das ist ja auch in Ordnung und wer hört nicht gerne, dass er schön ist. Aber es ist einfach sehr anders als in Deutschland, manchmal zu viel und selten empfinde ich es auch als respektlos.

Was ich schade finde und mich immer wieder erschreckt, ist das negative Bild, das dominikanische Männer und Frauen hier voneinander haben. Oft wird mir gesagt, alle dominikanischen Männer sind schlecht und untreu. Davor warnen mich die Frauen und wenige Männer prahlen damit auch. Die Männer beschreiben auf der anderen Seite die Frauen oft als oberflächlich und geldfixiert. Das kann man auf keinen Fall auf alle beziehen, aber es ist schon eine Sache, die mir aufgefallen ist. Ich kenne selbst viele alleinerziehende Frauen und einige, die gerade ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann haben. Aber ich kenne auch Männer, die die Untreue anderer verurteilen und Familien, bei denen alles gut zu sein scheint.

Fast jeder hat Familie in New York oder Puerto Rico und viele würden selbst gerne in die USA emigrieren. Meistens ist das illegal, teuer und gefährlich. Wer nicht genügend Geld für einen Flug auftreiben kann, riskiert sein Leben auf der Reise in einem kleinen Boot.

Obwohl viele selbst Familie und Freunde ohne Aufenthaltsgenhemigung im Ausland haben, sind die Reaktionen gegenüber den Haitianern sehr verschieden. Oft wird bemitleidend gesagt, dass die Haitianer ein armes Volk sind. Einige begegnen ihnen gleichgültig. Andere aber verhalten sich geradezu rassistisch ihnen gegenüber und der Satz, dass die Haitianer selbst schuld sind an ihrem Unglück, schockiert mich immer wieder. Manche vertreten die Meinung, dass Haitis Armut, das Erdbeben und die Krankheiten eine Strafe Gottes sind, weil die Mehrheit Haitis nicht christlich ist.

Der Glaube spielt hier eine sehr große Rolle. Die meisten gehören hier der katholischen Kirche an. Auch in der Schule wird vor dem Essen gebetet und oft hört man den Satz "Si Díos quiere" – "Wie Gott es will". Die Aussage "Ich glaube nicht an Gott" ist für viele Dominikaner unverständlich und meistens werde ich darauf gefragt: "Aber an was glaubst du denn dann?!".

Nur wenige haben hier ein Krankenversicherung. Bei staatlichen Praxen ist die Untersuchung allerdings umsonst und es gibt es gibt subventionierte Apotheken, die die wichtigsten Medikamente zum niedrigeren Preis anbieten. Dort gibt es, wie gesagt, nicht alles, aber bei den meisten Krankheiten verschreiben sich die Dominikaner einfach selbst ein Antibiotium. Ich weiß nicht wie, aber hier hat fast jeder Haushalt immer Antibiotika und Schmerztabletten parat.

Wer es sich leisten kann, geht nicht nur in eine private Praxis, sondern schickt seine Kinder auch auf eine Privatschule. Dort fällt der Unterricht nicht aus und es wird ein höheres Lernniveau versprochen.

Ich selbst arbeite in einem Projekt, das sich "Escuela de Apoyo a la Diversidad", "Schule zur Unterstützung der Vielfalt", nennt. Die Schule hat sich die Integration von Kindern mit Behinderung oder Lernproblemen zur Aufgabe gemacht. Das bedeutet, dass diese Kinder nicht alleine in der Schule unterrichtet werden, sondern gemeinsam mit Kindern ohne Probleme. Je nachdem, ob unsere Schüler vor- oder nachmittags kommen, gehen sie auch vor- oder nachmittags in eine normale Schule. In Salcedo gibt es zwei dieser Hilfsschulen; eine für Schüler mit geistiger oder körperlicher Behinderung und eine speziell für Taubstumme, in der auch die Vorschule ist. In der zweiten arbeite ich Montag bis Freitag circa sechs Stunden.

Morgens helfe ich einer Erzieherin in der Vorschule mit bis zu 13 Kindern. Alle sind drei bis vier Jahre alt und elf von ihnen sind Jungs. Darunter ist ein taubstummes Mädchen und ein Junge, der nicht sprechen und gehen kann. Morgens wird viel gesungen, gemalt, gelesen, gebastelt oder über das Wetter, Farben, Tiere, den Menschen oder sonst etwas geredet. Dann wird gebetet, gegessen und danach geht es in den Garten zum Spielen. Das finde ich besonders toll an meinem Projekt. So kommen die Kinder an die frische Luft, können sich austoben und entdecken immer wieder kleine Wunder der Natur. Besonders weil es in der Stadt sonst keine Grünfläche gibt, auf der sie spielen könnten und meines Wissens nach keines der Kinder einen Garten hat.

Nachmittags helfe ich dann bei der Hausaufgabenhilfe für Kinder der ersten bis vierten Klasse – fünf bis zehn Jahre alt. Jeder bringt seine Hausaufgaben aus der Schule mit und wir(ein bis zwei Lehrerinnen und ich) helfen ihnen dann dabei. Für die, die keine Hausaufgaben haben, wird eine Aufgabe an die Tafel geschrieben, die genauso bearbeitet wird. Die Mehrheit dieser Kinder hat Lern- oder Konzentrationsschwierigkeiten. So genau lässt sich das nicht sagen, weil ein achtjähriger, der das ABC nicht beherrscht, schnell aufgibt, wenn er einen Text über sein Wochenende schreiben soll und dann aus Langeweile andere ablenkt. Die Kinder, die nachmittags kommen brauchen, meiner Meinung nach, auf jeden Fall alle Unterstützung. Diese angemessen zu gewährleisten ist allerdings schwer, wenn wir nur zu zweit sind und über 15 Schüler kommen. Sie haben alle unterschiedliche Aufgaben und benötigen individuelle Unterstüzung.

Im Klassenraum nebenan(es gibt zwei) haben die Taubstummen gleichzeitig Zeichensprachenunterricht. Jeder kann sein Kind zu diesem Unterricht anmelden, aber leider gibt es nur ein Mädchen, das nicht taubstumm ist und vormittags mitmacht. Selten gibt es mal nicht so viel zu tun und ich kann mich zum "Vokabeln Lernen" dazusetzen. Ansonsten bin ich dabei die Zeichen beim Zusammensein nach Unterrichtsende zu lernen.

Die Arbeit in meinem Projekt macht mir sehr viel Spaß und ich wurde gut und herzlich aufgenommen. Meine Chefin hatte zwar eine ausgebildete Lehrkraft erwartet, aber wir haben uns gut eingespielt und ich arbeite gerne mit ihr zusammen.

Besonders schön ist es immer, wenn ich an der Schule ankomme und einige von den Kindern kommen heraus gelaufen, um mich zu umarmen und zu begrüßen. Ich habe das Gefühl so langsam meinen Platz zu finden und bin gespannt, wie sich das die weiteren Monate weiter entwickeln wird.

1 Kommentar:

  1. Toll geschrieben, da kommt ein bisschen "Heimweh" auf... War auch 1 Jahr dort... Tolles Projekt, mach weiter so! Falls du zuviel Freizeit hast, ich hab noch zu einer Person vom Umweltministerium Kontakt. Der macht super Arbeit und kann auch immer helfende Hände gebrauchen... Schöne Zeit noch,
    Fionn

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